Ab in die Wildnis Part II: Nomadenleben in der Mittleren Gobi

Ab in die Wildnis Part II: Nomadenleben in der Mittleren Gobi

 

Henry war schon bedient bevor wir uns auf den Weg in die Dundgobi Provinz in der mittleren Gobi machten. Die Organisation Ger to Ger, bei denen wir die Tour gebucht hatten, führte für uns einen Crash Kurs in Mongolischer Kurltur, Sprache und Outdoor Sicherheit durch, einen Tag, bevor es los ging. Wir werden alleine, ohne Reiseführer unterwegs sein und Nomadenfamilien besuchen, da ist es ganz gut, wenn man weiß, was man in einer Jurte auf keinen Fall tun sollte.

Und da gibt es so einiges: In der Jurte nicht pfeifen (bedeutet, dass ein Familienmitglied stirbt), die Ärmel nicht hochkrempeln (Zeichen der Aggression), Dinge, die einem gereicht werden, mit beiden Händen entgegennehmen, niemals direkt gegenüber der Tür sitzen (ist für das Familienoberhaupt reserviert) – wenn dieser einem angeboten wird, sollte man freundlich ablehnen und den ältesten Mann bitten, dort Platz zu nehmen. Niemals dem Altar, der sich im hinteren Bereich befindet, den Rücken zukehren, und die Füße niemals direkt in Richtung Feuer richten, da es heilig ist. Also auch keinen Müll reinschmeißen. Und das sind nur einige Punkte auf der Liste.

Mindestens genauso wichtig sind die Sicherheits- und Gesundheitshinweise. Wir lernten, wir man von einem Pferd, das unter einem durchgegangen ist, heile runterkommt, wenn gleichzeitig der Sattel zu lose sitzt (die sogenannte Elf-Uhr-Rolle machen – ob wir das in der Praxis hinbekommen, bleibt mal dahingestellt…), wie man mit einer asiatischen Grubenotter umgeht (mit einer Jacke oder einem Schal ablenken, niemals den Rücken zukehren), wie man Fleischwunden behandelt und verletzte Venen, wie man in der Wildnis navigiert und was man tut, wenn man sich verlaufen hat (stehen bleiben und warten, bis die Nomaden einen wieder finden).

Wir haben so viele Worst-Case-Scenarios besprochen, dass es schwierig war, sich bewusst zu machen, dass es eben nur Worst-Case-Scenarios sind – sehr unwahrscheinlich, dass irgendwas davon uns tatsächlich widerfährt. Wir waren dennoch etwas beunruhigt als wir früh am Morgen in den Bus nach Mandalgovi stiegen.

Mongolen nennen so gut wie alles, was sich außerhalb Ulan Bators befindet, “auf dem Land”, was die Untertreibung des Jahrhunderts ist. Sobald wir die Hauptstadt verlassen hatten, fuhren wir durch die Wüste, über Hügel, vorbei an Felsen und hin und wieder einer Jurte, bis Mandalgovi nach vier Stunden war nichts, was den Namen Stadt verdienst hätte. Und auch dieser Ort war gefühlt Welten von Ulan Bator entfernt, entsprach viel mehr einem Entwicklungsland. Dort angekommen wartete bereits unser Fahrer auf uns, der uns mit einem antiquarisch anmutenden russischen Geländewagen die nächsten 80 Kilometer durch die Wüste zu unserer ersten Jurte brachte.

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Obwohl es sonnig war, keine einzige Wolke am Himmel, war es eisig kalt, da ein fieser Wind wehte. So kalt die Umgebung war, so warm war der Empfang in der Jurte. Wir bekamen heißen Milchtee (Milch wird mit Wasser verdünnt und ein paar Teeblätter hineingegeben, dann leicht gesalzen), Aartz (dried curds) und Nudelsuppe mit Fleisch. Aufgewärmt und satt war es Zeit, zu unserem nächsten Ziel aufzubrechen, zu der Familie, bei der wir die Nacht verbringen würden. Unser Gastgeber fuhr uns mit seinem “Mongolischen Taxi”, dem Pferdewagen, durch den eisigen Wind dahin.

Wir errichten die Chimedorj Familie quasi mit dem letzten Sonnenlicht. Zeit, sich aufzuwärmen, nach einer Stunde in der eisigen Kälte auf dem Wagen konnte ich meine Füße langsam nicht mehr spüren. Die Familie hatten eine Jurte extra für uns, der Ofen war heiß und wir bekamen mehr heißen Milchtee, Nudelsuppe und danach Buuz, traditionelle Dampfnudeln gefüllt mit Lamm, die sehr lecker waren.

Obwohl keiner der Nomaden auf die wir trafen Englisch sprachen, konnten wir uns grundsätzlich über einfache Dinge verständigen (wo kommt ihr her, wir alt seid ihr, was macht ihr, sowas), mit Hilfe der Phrasen, die im Handbuch waren, das wir nach unserer Einführungslektion bekommen hatten. Auch die Nomaden hatten ein kleines Pamphlet mit Phrasen. Dennoch war die Kommunikation in den meisten Fällen auf Hände und Füße begrenzt. Aber es funktionierte auch so, die Menschen waren wahnsinnig nett und haben wirklich alles getan, dass wir uns wie zu Hause gefühlt haben.

Mit Anbruch der Dunkelheit war es Zeit ins Bett zu gehen. Wir hatten einen Eimer voll mit getrockneten Mist für den Ofen, aber nachdem dieses verbraucht war, würde der Ofen den Rest der Nacht ausbleiben. Also wickelten wir uns in unsere Schlafsäcke und ein paar weitere Decken, die wir bekamen und machten es uns auf dem Boden so gemütlich wie es eben ging. Und ja, es wurde ziemlich kalt. Die Jurte war oben, wo der Schornstein des Ofens herausragte, offen. Die Wärme des Ofens blieb also nicht lange erhalten, sobald der Ofen erstmal aus war.

Am nächsten Morgen machte Frau Chimedorj das Feuer wieder an, bevor wir aufstanden, so dass es schön warm war, als wir soweit waren. Zum Frühstück gab es wieder Milchtee, klar, und Nudelsuppe. Wir verbrachten den Morgen mit der dreijährigen Tochter, die sehr neugierig war. Insbesondere unsere Taschenlampe, die sich mit kurbeln aufladen ließ, hatte es ihr angetan. Später rief uns Frau Chimedorj ins Familienger, wo sie uns zeigte, wie sie aus Schafwolle Filz herstellte, was in den Wänden der Jurten steckt. Am späten Vormittag war es Zeit weiterzuziehen, Frau Chimedorj begleitete uns auf eine 10 Kilometer lange Wanderung durch die Wüste. Zum Glück hatte der Wind sich gelegt und obwohl es recht frisch war, war es angenehmes Wetter zum Laufen. Ihre kleine Tochter begleitete uns, zumindest ein Stück, bis sie müde wurde und ihr Vater sie auf dem Motorrad abholte, mit dem er auch unsere Taschen transportierte. Wir liefen durch die wunderschöne Felsenlandschaft, die Ikh Gazriin Chuluu Berge und machten viele Pausen unterwegs.

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Am frühen Nachmittag erreichten die die Jurten von Otoo und seiner Familie. Wir wurden wärmstens Willkommen geheißen, mit, richtig geraten, heißem Milchtee und einer Auswahl von Aartz. Nach dem Mittagessen – klar, Nudelsuppe – nahm Aartz uns mit auf einen Spaziergang durch die Felsen zu einem Memorial, das einsam und verlassen mitten im Nichts stand. Skurrilerweise stand ein Parken-Schild davor, am gefühlt einsamsten Ort des Planeten, erreichbar nur über Wege, die den Namen Schottenpiste nicht mal verdienen… Aber wer weiß, wie es in zehn Jahren hier aussieht, vermutlich strömen die chinesischen Touristen Busweise hierher…

Auf dem Rückweg kletterten wir auf einige Felsen und fanden ein paar Höhlen. In einer überraschten wir eine schwarze Bergziege, die im Eingang lag und döste. Sie sprang auf die Füße als wir näher kamen, Otoo versuchte noch sie zu fangen, aber sie sprang um ihn herum und entkam. Henry und ich konnten gerade noch zur Seite springen, oder sie hätte uns umgerannt. Keine zehn Sekunden später hatte sie bereits einen Felsen gute 50 Meter entfernt erklommen. Erstaunlich, wie schnell diese Tiere sich in diesem schwierigen Terrain bewegen können.

Kaum zurück in der Jurte holte uns der Schlafmangel der letzten Nacht ein. Wir ruhten uns eine Weile aus. Als wir aufstanden, machte Otoos Schwester Nudeln fürs Abendessen und seine jüngere Schwester, sechs Jahre alt, brachte uns währenddessen ein Spiel bei, in dem mit Schaftknöcheln gewürfelt wird. Als die Sonne unterging, gingen wir noch mal raus in die Kälte, es war inzwischen ziemlich aufgefrischt, um die Landschaft im Abendlicht zu bewundern – es ist wirklich atemberaubend.

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Nach dem Abendessen begann eine zweite ziemlich kalte Nacht. Diese Nacht schliefen wir in Betten und die Decke der Jurte war besser abgedichtet. Dennoch wurde es ziemlich kalt, ich bin sogar einmal aufgewacht und konnte meine Zehen nicht mehr spüren. Wir hatten noch etwas getrockneten Mist, also hat Henry den Ofen noch einmal befeuert. Am nächsten Morgen waren meine Zehen nicht schwarz, also kein Grund zur Sorge diesbezüglich. Otoo servierte uns Frühstück – nein, keine Nudelsuppe sondern eine Art Griesbrei, aber herzhaft und mit Fleisch. Nicht ganz meins, muss ich sagen. Aber es war heiß und machte satt. Wir spielten nochmal as Spiel mit den Schafsknochen mit der Kleinen, bevor wir nochmal zu einem Spaziergang aufbrachen. Die Kleine begleitete uns diesmal, und sie klettert zwischen den Felsen genauso sicher wie die Bergziege vom vorherigen Tag.

Am frühen Vormittag kam unser Fahrer und holte uns ab, um uns zurück nach Mandalgovi zu bringen, wo wir in den Bus nach Ulan Bator stiegen. Auf unserer Fahrt mit dem Jeep hielten wir ein paar Mal um Bilder von Kamelen zu schießen, die unseren Weg kreuzten.

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Das war mit Sicherheit der interessanteste Trip den wir dieses Jahr bislang gemacht haben. Sicherlich auch die authentischste Erfahrung, die ein Außenseiter wie wir vom Leben eines Nomaden in der Gobi machen kann. Und wenn man bedenkt, dass dies keine geführte Tour sondern eher eine Expedition ist, wenn man offen ist für andere Kulturen und in der Lage ist, mit einigen Entbehrungen klarzukommen, die so ein Nomadenleben mit sich bringt (wie keine Dusche oder keine Toilette – wobei unter dem Sternenhimmel der Milchstraße zu pinkeln ist irgendwie auch ein spezielles Erlebnis…;)*, dann hat man eine Menge Spaß!

* “Es sei denn eine Grubenotter beißt in Deinen Hintern und Du stirbst nach stundenlangen höllischen Schmerzen, oder ein Mongolischer Wachhund hält Dich für einen Dieb und reißt Dich in Stücke, oder Wölfe kriegen Dich, von den Fliegen die Eier in Dein Auge legen und dann Larven unter Deinem Augenlid wachsen fange ich gar nicht erst an…” Henry

 

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