Abseits ausgetretener Pfade: Orient trifft Abendland in Kaiping

Abseits ausgetretener Pfade: Orient trifft Abendland in Kaiping

 

Auf dem Weg nach Hongkong legten wir einen kurzen Stopp in Guangzhou ein, von wo aus wir einen kleinen Ausflug nach Kaiping unternahmen. Kaiping ist ein winziges Dorf (600.000 Einwohner), das offensichtlich nicht viele Touristen zu Gesicht bekommt. Zumindest keine Westlichen, von denen trafen wir kaum welche.

Die Hauptattraktion in Kaipik sind surreal anmutende Türme, die Diaolou heißen. Erbaut wurden sie von Chinesen die nach Übersee auswanderten und reich zurück kehrten. Diese fanden ihre alte Heimat als bedroht von Fluten und marodierenden Banditenbanden vor, und bauten diese Gebäude, um sich und ihre Familien zu schützen. Von ihrer Zeit im Ausland brachten sie nicht nur Geld, sondern auch westliche architektonische Ideen mit, was den Diaolous ihre seltsam anmutende Form bescherte. Seit 2007 sind die Unesco Weltkulturerbe.

Diaolou - 1

 

In Kaiping wurden wir tatsächlich mit noch einem schönen Tag gesegnet, ähnlich wie damals in Yangshuo. Perfekt für eine Erkundungstour aufs Land. Dieses Mal nicht mit dem Rad, sondern den öffentlichen Verkehrsmitteln, sollte nicht zu kompliziert werden, dachten wir. Bus 17 sollte uns von der Yici Busstation in die Nähe des Li Garten bringen, einer der Attraktionen mit vielen Türmen.

Ein Tipp von uns: Traue Google Maps nicht über den Weg. Wir verließen uns darauf, und steigen als Folge viel zu früh aus. Wir fragten eine alte Frau nach dem Weg zum Li Garten, indem wir ihr die Chinesischen Zeichen auf meinem Handy unter die Nase hielten. Ihre Antwort machte uns etwas misstrauisch. Sie fing an zu lachen und wild zu gestikulieren. Wir verstanden zwar kein Wort von dem, was sie uns auf Kantonesisch versuchte zu erklären, nur soviel, dass wir wohl noch weiter die Straße runterlaufen mussten. Das taten wir dann auch. Und liefen und liefen und liefen, unter der heißen Sonne (nicht, dass ich mich übers Wetter beschweren will, aber…) Es dämmerte uns, dass die Stecknadel, die Google Maps uns für Li Garten verkaufen wollte, komplett daneben lag. Hin und wieder fragten wir nach dem Weg um uns zu vergewissern, dass wir noch richtig waren, und meist bekamen wir eine ähnliche Reaktion wie von der alten Dame zu Beginn. Naja, betrachten wir das mal als gutes Training. Nach einer Stunde oder so erreichten wir endlich eine Kreuzung, auf der ein Schild uns auch auf Englisch mitteilte, dass es nur noch zwei Kilometer zu unserem Ziel seien.

Wir waren gerade auf die Straße abgebogen, auf der es weitergehen sollte, da hörten wir plötzlich jemanden auf Englisch reden. “Hallo, wo kommt Ihr denn her?” So trafen wir Marek, ein Geschenk des Himmels. Er kommt ursprünglich aus Polen, lebt aber schon seit 10 Jahren in Kaiping und war zufällig hier, um seiner Nichte und seinem Neffen, die ihn besuchten und China bereisten, die Gegend zu zeigen. Sie waren ebenfalls auf dem Weg zum Li Garten und boten uns an, uns im Auto mitzunehmen. Sie fuhren außerdem auch zum Zili Dorf, eine weitere Ansammlung Diaolou Türme, die für uns zu Fuß vermutlich noch eine weitere Stunde Laufen bedeutet hätte. Wie großartig, der Tag drehte sich objektiv für mich von quasi für die Tonne zu wunderbar. Nach den Besichtigungen nahmen sie uns sogar wieder mit zurück nach Kaiping! Manchmal muss man einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein… Vielen Dank nochmal, Marek, Du hast uns echt gerettet!

 

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Der nächste Tag sah wettertechnisch nicht ganz so schön aus, zwar immer noch warm, aber nicht mehr so sonnig. Wir entschieden uns, einen Ausflug in das historische Dorf Chikan zu machen. Nochmal mit dem Bus, dieses mal aber ohne dämliche Fehler. War ja auch leichter, einfach mit Bus Nr. 6 von Yici bis zur Endstation fahren, das bekommen sogar wir fehlerfrei hin. Das historische Zentrum von Chikan, für das man 40 Yuan Eintritt zahlen muss (circa 6 Euro), wird als Filmset für chinesische Produktionen genutzt. Von denen kannten wir logischerweise keine einzige, aber man kann dort nett Spazierengehen. Besonders interessant ist eine Ausstellung über Chinesische Auswanderer im 19. und 20. Jahrhundert, die ganz am Ende der kleinen Straße in einem der Gebäude versteckt liegt.

Kaiping hat die größte Gemeinde in Übersee lebender Chinesen Chinas. Sie wanderten in die Vereinigten Staaten, nach Kanada, Mittel- und Südamerika, Australien und Südostasien aus, um sich und ihren Familien ein besseres Leben zu ermöglichen. Der größte Teil ging in die USA. Nicht immer erfolgreich. Es fällt leicht, Parallelen zur heutigen Situation von Flüchtlingen und Migranten zu sehen. So nahmen die USA die Chinesen zunächst mit Kusshand, um zum Beispiel den Eisenanbahnbau mit ihnen voranzubringen. Als die wirtschaftliche Lage sich verschlechterte, wurde auch das Klima für die eingewanderten Chinesen kühler. Letztlich wurde versucht, die Einwanderung aus China gesetzlich zu unterbinden, die ankommenden Chinesen wurden in Lager gesperrt und verhört. Wer dieses Verhör nicht bestand, wurde direkt zurück geschickt. Die Lebensbedingungen im Lager waren katastrophal, und auch wenn sie einwandern durften, war es häufig nicht besser, oft wurden Chinesen mit großen Versprechungen her gelockt und mussten letztlich das Leben eines Arbeitssklaven fristen.

Einige jedoch waren in der Lage, sich eine gute Existenz aufzubauen und reich zu werden. Sie waren es, die die Diaolou in ihrer alten Heimat bauten. Später unterstützten sie die Entwicklung ihrer Heimat, indem sie Schulen und Krankenhäuser bauten. Auch diese Ausstellung in Chikan war von vielen Nachfahren dieser Migranten finanziert. Sie enthält nicht nur viele interessante Infos zur Geschichte, sondern auch bewegende Einzelschicksale und Berichte, die einen nachdenklich machen. Die menschliche Geschichte ist voll von Migration und größeren Wanderungen. Und dennoch vergessen folgende Generationen gerne, woher ihre Vorfahren kamen wenn es darum geht, Neuankömmlinge aufzunehmen.

Auch außerhalb des historischen Kerns ist Chikan ein interessanter Ort. Es gibt einen Markt an der Flusspromenade, und an jeder Ecke interessante architektonische Ost-West-Mischungen. Alles etwas heruntergekommen, aber gerade deswegen charmant.

 

Die Bilder:

 

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