Liebe Deutsche Bahn…

Liebe Deutsche Bahn…

 

nachdem ich mit Japanrail nun ausgiebig durch Japan gereist bin, habe ich das dringende Bedürfnis, Dir ein paar Dinge zu erzählen. Nein, ich werde mich nicht über die Lokführer-Streiks aufregen, auch wenn es offensichtlich gerade zum guten Ton in Deutschland gehört (was im Übrigen traurig ist, aber wie gesagt, ich will hier nicht groß darüber schreiben). Was ich Dir erzählen will, ist, wie großartig es ist, in Japan mit der Bahn zu reisen.

Wir haben insgesamt elf Bahnreisen unternommen, haben in 15 Zügen gesessen, von denen fünf der Gattung „Shinkansen“ angehörten, also der berühmten Schnellzüge. Wir kommen auf 834 Minuten, die wir in allen Zügen zusammen gesessen haben. Und nun rate mal, wieviele Minuten Verspätung wir insgesamt hatten? SECHS Minuten! Da war tatsächlich mal ein „Limited Express“ (irgendwo zwischen Intercity und Regionalexpress anzusiedeln), der uns von Nagiso in den Japanischen Alpen zurück nach Nagoya bringen sollte, der sechs Minuten zu spät kam. Das wars. Keine weiteren Verspätungen. Alle anderen Züge, vom Shinkansen bis zur privat betriebenen Touri-Bahn zum Mount Fuji waren so pünktlich, dass man seine Uhr nach ihnen stellen konnte. Nach meinen vielen Reisen mit der Deutschen Bahn eine geradezu surreale Erfahrung.

Ich weiß, dass man die Schienennetzwerke von Japan und Deutschland nicht direkt miteinander verleichen darf. Die Shinkansen-Züge haben ihr eigenen Schienennetz, was sie sehr viel zuverlässiger macht, während in Deutschland sich alle Züge auf ein und demselben Netzwerk tummeln. Aber da sind diese vielen anderen, kleinen Dinge, die das Reisen mit der Bahn in Japan so viel angenehmer machen als in Deutschland. Die Bahnsteige zum Beispiel. Dort ist auf dem Boden markiert, wo genau die einzelnen Wagen des Zugs halten werden. Das Gleis selbst ist hinter einem Gitter, deren Tore sich genau an der Stelle befinden, an denen sich die Türe der Waggons öffnen werden. Wie oft musste ich in Deutschland von einem Ende des Bahnsteigs ans andere rennen, nur weil die Reihenfolge der Waggons durcheinandergewürfelt wurde und dies den Reisenden wieder mal erst fünf Minuten vor Ankunft des Zugs angekündigt wurde – so etas passiert in Japan einfach nicht. Nie.

Du stehst also in Japan an einem Bahnsteig, schaust auf Deinem Ticket nach dem Waggon, in dem sich Dein reservierter Sitzplatz befindet und stellst Dich in die entsprechende Reihe am Bahnsteig – ja, Japaner stellen sich tatsächlich in einer Schlange auf, um in einen Zug einzusteigen, auch dafür gibt’s Markierungen auf dem Bahnsteigboden. Apropos reservierter Sitzplatz: Du musst nicht reservieren, aber während Stoßzeiten (zum Beispiel der sogenannten „Goldenen Woche“, wenn ganz Japan in den Urlaub fährt) ist es empfehlenswert, sich vorab einen Platz zu sichern. Wir haben meist 30 Minuten vor Abfahrt des Zuges reserviert, was immer hervorragend gepasst hat. Wenn Du aber keine hast, sagt Dir die elektronische Anzeige am Gleis genau, welche Wagen des Zuges ausschließlich Zuggästen ohne Reservierungen vorbehalten sind. Es gibt also keine Verwirrung darüber, welcher Platz reserviert ist und welcher nicht. Ein klasse System, das den Ärger erspart, wenn die elektronische Reservierungsanzeige an den Sitzen, die in Deutschen ICE üblich ist, mal wieder ausgefallen ist. Und es fällt oft aus. Öfter als es funktioniert, würde ich sagen…

Du bist also nun im Zug, hast Deinen Platz gefunden – nun bleibt Dir nur noch, zu entspannen und die Fahrt zu genießen. Hoffentlich hast Du Dir vorab eine Bento-Box (eine Box mit kleinen Leckereien, gedacht als Mittagessen) gekauft, die Du nun genießen darfst. Wir sind immer mit in der zweiten Klasse gefahren und haben uns in jedem Shinkansen extrem wohl gefühlt. Die Beinfreiheit in der zweiten Klasse im Shinkansen war teilweise sogar größer als in der ersten Klasse im ICE. Sogar das rechtzeitgie Aussteigen wird für ausländische Reisende zu einem Kinderspiel: ein Schaffner sagt den nächsten Bahnhof auf Japanisch an, die entsprechende Englische Durchsage kommt von einem Band, ist also leicht zu verstehen. Eine Kleinigkeit, die bestimmt auch in Deutschland ohne große Umstände eingeführt werden könnte – die Englischen Durchsagen in Deutschen Zügen sind leider oft völlig unverständlich, sorry.

Es sind diese kleinen Dinge, die Bahnfahren in Japan so angenehm machen. Dinge, die Du, liebe Deutsche Bahn, vielleicht auch in Deutschland einführen könntest.

Mit freundlichen Grüßen,

Anja und Henry

 

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